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Den Status Quo aufnehmen und die Handbremse lösen
Im April diesen Jahres wurde der Bauingenieur Franz-Josef Türck-Hövener vom Rat der Stadt Herzogenrath mehrheitlich zum neuen Technischen Beigeordneten gewählt. Am 02. August trat er seine Position an und ist seit über 100 Tagen im Amt. Was hat er in dieser Zeit anstoßen können und welche Herausforderungen sieht er für die Zukunft der Stadt Herzogenrath? Im Gespräch mit der Pressesprecherin Petra Baur zieht Türck-Hövener eine erste Zwischenbilanz.
Herr Türck-Hövener, Sie sind jetzt seit 100 Tagen als Technischer Beigeordneter tätig. An Herausforderungen im technischen Bereich mangelt es nicht, worin sehen Sie die größten?
Ich sehe eine besondere Herausforderung darin, die verschiedenen Baustellen, die in der Vergangenheit begonnen und zwischenzeitlich gestoppt worden sind, weiterzuführen und zum Abschluss zu bringen. Die Schwierigkeit besteht zunächst für mich darin, den Sachstand zu ermitteln und die verschiedenen Sichtweisen und Schwerpunkte zusammenzuführen. Ich frage die Meinungen aus den verschiedensten Bereichen ab– Bürgerschaft, Politik, Firmenvertreter, Investoren, Vereine etc. – um die Grundstimmung zu ermitteln und dann abwägen zu können. Mein Ziel ist es, den Status quo aufzunehmen und bei vielen Projekten die Handbremse zu lösen, indem ich eine Entscheidung treffe, wie es weitergeht.
Inwieweit beeinflusst die angespannte personelle Situation in den technischen Ämtern und die Schwierigkeit, geeignete Fachkräfte zu finden die Aufgabenwahrnehmung in Ihrem Dezernat?
Die bestehende Struktur und zu wenig Personal erschweren eine Umsetzung durchzuführender Maßnahmen. Das Budget ist verfügbar, aber nicht die notwendige Manpower. Ich sehe in der bevorstehenden Neustrukturierung eine große Chance, Geld und Personal effizient zusammenzuführen. In dieser Thematik spielen auch die Dauer von Nachbesetzungsverfahren und die Personalakquise eine große Rolle. Ich selbst stehe hierzu in engem Kontakt mit der Fachhochschule Aachen, um neue Wege der Personalwerbung für mein Dezernat zu eröffnen.
Die nach wie vor gegebene Tripolarität der Stadt (Kohlscheid, Herzogenrath-Mitte und Merkstein) zieht vielerlei Ansprüche nach sich. Zugleich setzt die Finanzlage Restriktionen. Wo glauben Sie, können Sie trotzdem erste Pflöcke einschlagen?
In Herzogenrath bestehen drei Stadtteile mit ihrer jeweils zugeordneten Infrastruktur wie z.B. den Schulen, Kindergärten und Friedhöfen. Diese verursachen naturgemäß Kosten. Natürlich können die gewachsenen Strukturen nicht kurzfristig verändert werden. Dies ist ein langfristiger und sehr sensibel zu planender Prozess. Die bessere Vernetzung der drei Stadtteile über den Schienenverkehr und den geplanten Radschnellweg sind dabei wichtige Elemente für die weitere Entwicklung. Einen weiteren Ansatz stellt der geplante gemeinsame Sportpark an der Geilenkirchener Straße in Merkstein dar. Nur Schritt für Schritt kann eine weitere nachhaltige Zusammenführung erfolgen.
Eine aktuelle Baustelle von großem allgemeinen Interesse ist der Bau des neuen Hallenbades sowie des angrenzenden Sportparks in Forensberg. Dabei stehen immer wieder die Kostenentwicklung und der Bauzeitenplan im Fokus. Wie beurteilen Sie die weitere Entwicklung?
Im Januar des kommenden Jahres werden die ersten Ausschreibungen für das Hallenbad erfolgen. Die weitere Kostenentwicklung ist aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung schwer einzuschätzen. Auf jeden Fall arbeiten wir mit Nachdruck daran, sowohl den Bauzeitenplan als auch die Kostenschätzung möglichst einzuhalten.
Wir haben in Herzogenrath das Ziel, noch mehr Einwohner zu generieren. Das Hallenbad ist ein wichtiger Faktor für die Attraktivitätssteigerung des Freizeitangebotes in unserer Stadt und damit eine Investition in die Zukunft.
Wie wichtig ist für Sie die Einbindung der Bürgerschaft in die Gestaltung des Stadtbildes? Können Workshops wie z.B. die Veranstaltung für den August-Schmidt-Platz am 7.9.21 auch mit einer geringen Bürgerbeteiligung dennoch ein repräsentatives Meinungsbild der Bevölkerung widerspiegeln?
Ich finde es sehr wichtig, die Meinungen und Anregungen aus der Bürgerschaft entgegenzunehmen. Sie sind ein Element, bei der weiteren Abwägung bei verschiedenen Projekten eine Entscheidung für das Wohl der Stadt Herzogenrath zu treffen. Ich sage aber auch offen, dass ich kein Befürworter einer grundsätzlichen Bürgerbeteiligung bin. Schließlich darf man nicht außer Acht lassen, dass die Meinung von Fachleuten bei der Entscheidungsfindung im Gesamtkontext entsprechend gewichtet werden muss.
Daran anknüpfend: Mit dem „Integrierten Handlungskonzept“ (InHK) konnten bereits einige interessante Projekte in der Herzogenrather City umgesetzt bzw. in die Wege geleitet werden (Umgestaltung Kirchenvorplatz St. Mariä Himmelfahrt, Bau der Wurmresidenz, Gestaltung der Wurmpromenade etc.). Wie schätzen Sie die Chancen dafür ein, ein solches Handlungskonzept auch in den Stadtteilen Merkstein und Kohlscheid in absehbarer Zeit zu realisieren?
Das integrierte Handlungskonzept für Herzogenrath-Mitte hat hervorragende Ergebnisse gebracht. Betrachten wir die bereits umgesetzten oder in Umsetzung befindlichen Maßnahmen wie das Fassadenprogramm, das Boarding-House, den Bau der Wurmresidenz u.a., dann sind das allesamt Maßnahmen, die unsere Innenstadt massiv aufwerten. Diese Schritte lassen uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Auch für die Stadtteile Kohlscheid und Merkstein sind Maßnahmen, die bereits im nächsten Jahr anlaufen werden, avisiert. Jeder Stadtteil wird beplant werden und es wird keine „weißen Flächen“ in Herzogenrath geben.
Ob Verkehr, (sozialer) Wohnungsbau oder Gewerbeansiedlungen – die Flächenknappheit ist überall in der Stadt spürbar. Gleichzeitig steigen die Bedarfe. Welche möglichen Auswege aus dieser Situation sehen Sie für die Stadt Herzogenrath?
Bei der weiteren Flächenentwicklung sind intelligente Lösungen gefragt. So müssen wir bei der Ausweisung weiterer Gewerbeflächen genau überlegen, welche Firmen wir auf den wenigen noch vorhandenen Flächen ansiedeln können und möchten. Die Ausweisung von Gewerbeflächen bedeutet für die Stadt einen hohen Flächenverbrauch, der dem Grundsatz der Ressourcenschonung entgegensteht. Deshalb sehe ich in Herzogenrath vorrangig die Ansiedlung von innovativ ausgerichteten Firmen, die häufig nicht so einen hohen Flächenverbrauch haben. Im Bereich der Wohnbebauung tendiere ich mit Blick auf unser Baulückenkataster auf eine größere Innenverdichtung und damit bessere Ausnutzung des noch vorhandenen Raumes.
Umwelt- und Klimaschutz nachhaltig in die Stadtentwicklung integrieren – das wird angesichts von Artensterben und zunehmender Zerstörung von Lebensgrundlagen künftig noch mehr in den Blickpunkt rücken. Wo wollen Sie als Technischer Beigeordneter ansetzen?
Ziel sollte es sein, die Stadt Herzogenrath bis 2030 als CO2-neutrale Stadt – also klimaneutral – zu entwickeln. Um dafür eine Struktur zu schaffen, wurde im Rahmen des Förderprogramms Rheinisches Revier der Antrag für eine Stabsstelle Klimaschutz gestellt. Der Klima- und Umweltschutz muss in den drei Sektoren Verkehr, Heizen und Elektrizität besonders eingreifen. Im Verkehrsbereich muss der Öffentliche Personennahverkehr und die Nutzung des Rades gestärkt werden. Beim Heizen sollten wir weg vom Gas hin zu Wärmepumpen und einer Fernwärmeversorgung. Hier sehe ich perspektivisch große Chancen in einer Kooperation mit Saint Gobain. Im Bereich der Elektrizität muss ein Weg hin zu einer dezentralen nachhaltigen Energieerzeugung mit Windrädern und Solaranlagen geebnet werden.
Inwiefern beeinflussen die diesjährigen Starkregenereignisse künftige infrastrukturelle Maßnahmen?
Zum Glück waren wir in Herzogenrath von den Überflutungen im Juli diesen Jahres nicht so stark betroffen wie andere Kommunen im Nordkreis. Gefahrenbereiche waren jedoch in der Innenstadt und im Bereich der Wiesenstraße offensichtlich. Hierzu stehen wir in enger Abstimmung mit dem Wasserverband Eifel-Rur, der über eine Überflutungskarte verfügt. Gemeinsam haben wir die Gefahrenzonen im Blick und arbeiten an praktikablen Lösungen zur Gefahrenbeseitigung.
Als früherer Geschäftsführer eines Unternehmens, das sich auf dem Gebiet der regionalen und erneuerbaren Energien betätigt, sowie als Gutachter für Photovoltaik und Vorstandsvorsitzender einer Bürgerenergiegenossenschaft – wo sehen Sie kurz- oder langfristig Möglichkeiten zu einem verstärkten Einsatz regenerativer Energien im öffentlichen Bereich?
Die Installation von Photovoltaikanlagen mit Speichern auf öffentlichen Gebäuden ist bereits für verschiedene Objekte – Rathaus, Neubau Hallenbad Kohlscheid und die Gesamtschule Kohlscheid – in Planung. Eine sukzessive Ausrüstung weiterer städtischer Gebäude soll in den kommenden Jahren erfolgen.
Schlussfrage: Gesetzt den Fall, die Stadt bekäme eine Millionenförderung für die infrastrukturelle Weiterentwicklung zur freien Verfügung. Wofür würden Sie das Geld primär einsetzen?
Ich würde das Geld in den sozialen Wohnungsbau investieren. Zum einen würde die Immobilie dem Kapitalaufbau dienen, zum anderen könnte man damit das starke Defizit erschwinglichen Wohnraums für sozial Schwächere ausgleichen.